Der Wetterbericht für Samstag, den 1. Oktober versprach nichts Gutes. Am Nachmittag sollte es in Rottweil regnen und gerade zu diesem Zeitpunkt war die Stadtführung geplant. So waren die 49 Teilnehmer erfreut, dass wenigstens bei der Abfahrt in Metzingen die Sonne schien und im Verlauf des Tages nur dunkle Wolken den Himmel verdunkelten, der Regen aber aus blieb. Und auf der Rückfahrt grüßte ein doppelter Regenbogen über dem Albrand – es war der Gruß einer Regenfront weit weg.Wenn man sich dieser Tage Rottweil auf der B 27 nähert, sieht man schon aus der Ferne den neuen Testturm von ThyssenKrupp. Mit 244 Metern hat er fast seine Endhöhe von 246 Metern erreicht. In 232 Metern Höhe besitzt er die höchste Aussichtsplattform Deutschlands. Er wird im kommenden Jahr fertig sein. ThyssenKrupp wird dann in 12 Schächten moderne Aufzugslösungen testen. Das heutige Rottweil mit seinen rund 25.000 Einwohnern kann jedoch nicht nur mit diesem gigantischen Turm an Rand der Stadt punkten, der auf Grund seiner Höhe und Nähe zur Stadt nicht unumstritten ist. Die Altstadt bietet schon seit Jahrhunderten mit ihren Türmen ein imposantes Panorama über dem Neckar. Der Turm des Heilig-Kreuz-Münsters mit seinen 71 Metern, der Kapellenturm mit 70 Metern und der Hochturm mit 54 Metern ragen besonders heraus. Sie beherrschen das prächtige Stadtbild, das bis in das 12. und 13. Jahrhundert zurückreicht. Doch die Stadt ist viel älter. Ihre Wurzeln reichen bis in das 1. Jahrhundert n. Chr. zurück. Die römische Siedlung auf dem Stadtgebiet Rottweils wurde in diesem Jahrhundert gegründet. Das römische Arae Flaviae (Altäre der Flavier) war Hauptort einer Civitas, einer Verwaltungseinheit mit einem städtischen Zentrum.
Wir besuchten zuerst den Samstagsmarkt auf der breiten, autofreien Hauptstraße im Herzen der Stadt. So konnten wir einen ersten Eindruck von der Stadt gewinnen, bevor wir im neugestalteten Dominikanermuseum ihren römischen Spuren nachgingen. Im Zentrum der Ausstellung steht das Orpheus-Mosaik, das für die Stadt, aber auch allgemein für die Römerzeit in Baden-Württemberg von großer Bedeutung ist. Es zeigt den thrakischen Sänger, der mit seinem Gesang die Tier- und Pflanzenwelt bezaubert. Schon im 2. Jahrhundert n. Chr. wird Rottweil als municipium bezeichnet. Es ist die einzige römische Stadt in Baden-Württemberg. Die ausgestellten Objekte, davon viele Originale, erzählen von der bewegten römischen Vergangenheit der Stadt mit ihren verschiedenen Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen, mit Zivilisten und Soldaten.
Das Museum beherbergt aber auch eine großartige Sammlung von Holzbildwerken und Altarblättern des 14. bis frühen 17. Jahrhunderts. Sie ist die bedeutendste Sammlung gotischer Sakralkunst neben der des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart. Damit tauchten wir in die mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte der Stadt ein, die nach dem Mittagessen im nahegelegenen Johanniterhof in der historischen Innenstadt besichtigt wurde. In zwei Gruppen geteilt und von zwei kompetenten Stadtführern interessant und kurzweilig geführt, erfuhren wir Vieles über die reiche Geschichte der Stadt und ihre weit bekannten Bräuche. Rottweil hat im 30jährigen Krieg durch mehrere Belagerungen stark gelitten, konnte jedoch sein spätmittelalterliches Stadtbild weitgehend erhalten.
Eine Eigentümlichkeit fiel sofort auf: die Traufenstellung der Häuser zur Straße hin. Diese Bauweise erinnert an die engen Beziehungen zur Schweiz. Die Häuserfronten unterscheiden sich durch ihre Farben und die teilweise prunkvollen, reich verzierten Erker, die bis über drei Stockwerke gehen können. Sie zeigen Ornamente, Zunftzeichen, Wappen, Tiere und häufig den Doppeladler. Dieser erinnert daran, dass sich die staufische Königsstadt des Hochmittelalters im 13. Jahrhundert zur freien Reichsstadt entwickelte. Im 15. Jahrhundert konnte sie durch eine zielstrebige Territorialpolitik nach und nach 28 Dörfer erwerben. 1802 kam die katholische Reichsstadt an Württemberg, wurde Oberamtsstadt und 1938 Kreisstadt. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge von SA-Männern zerstört, die kleine jüdische Gemeinde deportiert und vernichtet.
Ein großartiger Abschluss für alle Exkursionsteilnehmer war die „kleine Nachmittagsmusik für den Arbeitskreis Stadtgeschichte“ in der evangelischen Predigerkirche, der ehemaligen Dominikanerkirche. Sie war einst eine hochgotische Kirche, wurde im 18. Jahrhundert barock umgestaltet und 1812 mit dem Kloster geschlossen. Sechs Jahre später wurde sie zur evangelischen Stadtkirche erhoben. Dort hörten wir Werke von Johann Sebastian Bach, Nikolaus Vetter, Gabriel Fauré und Josef Rheinberger, gespielt von KMD Johannes Vöhringer auf der Orgel und begleitet von seiner Tochter Elisabeth mit dem Violoncello. Peter Carl, der mit Rudolf Renz die Exkursion vorbereitete und leitete, hatte diesen hochkarätigen musikalischen Schluss eingefädelt.
Auf der Rückfahrt kamen wir auch am KZ-Friedhof Bisingen vorbei. Dort liegen 1000 Tote des „Unternehmens Wüste“ der Jahre 1944/45. Im letzten Kriegswinter wurde entlang der Bahnlinie Tübingen – Rottweil Ölschiefer abgebaut, auch im Rottweiler Stadtteil Zepfenhahn. Rund 10.000 Zwangsarbeiter in sieben Arbeitslagern entlang des Albvorlands zwischen Rottweil und Bisingen wurden für dieses Vorhaben eingesetzt. Der rücksichtslose und letztlich vergebliche Versuch, aus Ölschiefer Petroleum zu gewinnen, kostete mehr als 3.500 KZ-Häftlingen das Leben. Auch das gehört zur Geschichte dieser schönen Stadt.
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