Jahresexkursion des AKS-Geschichtsvereins Metzingen
Für die meisten Exkursionsteilnehmer war das diesjährige Zielgebiet das Gegenteil des vorjährigen. Damals wurde buchstäblich ein weißer Fleck auf der Landkarte entdeckt, und jetzt gab es ein Wiedersehen mit Berg und Tal, Stadt und Land des mit Natur-und Kunstschätzen reich gesegneten Landes mitten in den Alpen.
Traditionell war es auch heuer die Woche nach dem Pfingstsonntag, in der die Exkursion durchgeführt wurde. Aber nicht gerade traditionell war es, dass Dr. Fritz Kemmler der „neue“ Leiter der Reise, wenige Tage vor Exkursionsbeginn gleich für den Anreisetag eine neue Route wählen musste: Der eigentlich vorgesehene Reschenpass als Übergang in den Vinschgau war gesperrt, so dass der Brenner genommen werden musste, von dem aus es durch das Eisacktal nach Bozen und von dort in den unteren Vinschgau bis Naturns ging, wo in dem kleinen romanischen St.- Prokulus- Kirchlein vor rund 90 Jahren vorkarolingische Fresken unter dem Einfluss irisch – keltischen Stils wieder entdeckt und freigelegt worden waren.
In Lana bei Meran beherbergt die gotische Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt den von Hans Schnatterpeck aus Kastanienholz geschnitzten „wie eine gotisch gestufte Monstranz“ vierzehn Meter hohen Flügelaltar, der als eines der schönsten Werke der Südtiroler Spätgotik gilt. Es war den Laninger Bürgern zu verdanken, dass die Pläne eines modernistischen Pfarrers in der Barockzeit scheiterten. Er wollte den „veralteten“ gotischen durch einen barocken Hochaltar ersetzen. Weil die Laninger Bauern seinerzeit den Schnatterpeck-Altar um den Preis von umgerechnet drei mittleren Bauernhöfen finanziert hatten, behielten ihre Nachkommen recht, als sie sich für den Erhalt des alten Altars einsetzten. Wie schon für Naturns und ebenso wie für die Führungen der kommenden Tage hatten Dr. Kemmler und Dr. Karl Weitnauer exzellente Führer engagiert, die mit viel Liebe und Kenntnis die Kunstwerke vorstellten.
Und dann ging die Omnibusfahrt zurück ins Eisacktal und weiter ins Pustertal, wo zum guten Schluss eines langen Tags am Fuße der Hochalpengruppe Niederolang erreicht wurde. Dr. Kemmler und Dr. Weitnauer hatten dort als Standortquartier ein sehr ruhig gelegenes Hotel mit prächtiger Aussicht zu den Felsenwänden der Olanger Hochalpengruppe, zur Dreifingerspitze und zum Piz da Peres gefunden. Ausschließlich für die Exkursionsteilnehmer war das Hotel reserviert, was maßgeblich zu einer regelrecht familiären Atmosphäre im Speisesaal beitrug.
Der zweite Tag wurde zuerst der alten Bischofsstadt Brixen gewidmet, wo der Dom verbunden mit einem kleinen Orgelkonzert und dem berühmten Kreuzgang mit seinem Freskenzyklus vorgestellt wurde, bevor es nach dem Gang durch die Lauben in der Altstadt zum Kloster Neustift zur Mittagsrast ging. Danach folgte das Südtiroler Volkskundemuseum bei Dietenheim, das ähnlich wie Beuren als Freilichtmuseum zahlreiche alte Bauern- und Handwerkerhäuser zeigte, dazu aber ein prächtiges Herrenhaus im barocken Baustil. Im Vergleich des Herrenhauses mit den großen und kleinen Bauernhäusern zeigte sich für die Besucher der große soziale Unterschied zwischen dem Adel und den hörigen, aber auch den freien Bauern.
Eine Besichtigung der heute noch bewohnten Schlossburg Rodenegg mit der ältesten bisher bekannten profanen Freskenmalerei Europas mit Szenen aus dem um das Jahr 1200 verfassten Versroman Hartmanns von Aue über den Ritter Iwein aus der Tafelrunde von König Artus bildete einen weiteren Höhepunkt, gelten doch die Wandbilder auf Schloss Rodenegg als die künstlerisch wertvollsten Illustrationen aus dieser Zeit. Erst 1972 waren die Bilder wieder entdeckt und freigelegt worden.
Ein teilweise wolkenverhangener Himmel geleitete die Gruppe an den Pragser Wildsee am Fuß der riesigen Wand des Seekofels. Eine Erinnerungstafel am Hotel nennt die von der SS nach Niederdorf gebrachten 139 Geiseln und Sonderhäftlinge von Adolf Hitler, die Major Wichard von Alvensleben, ein tiefgläubiger Christ, mit Soldaten der Wehrmacht aus der SS-Haft befreite und sie ins Hotel Pragser Wildsee verbringen ließ, wo sie bis zur Befreiung durch die US-Armee geschützt verbleiben konnten. Wichtige Sonderhäftlinge und Geiseln der SS waren unter anderem der ehemalige französische Ministerpräsident Léon Blum, der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg, der ehemalige deutsche Generalstabschef Franz Halder, der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Theologe Martin Niemöller, Familienangehörige von Franz Graf Schenk von Stauffenberg und Carl Gördeler sowie weitere bedeutende Persönlichkeiten aus Politik, Kirche, Wirtschaft und Militär aus dem Reich und aus dem Ausland.
Leider erwähnt die Erinnerungstafel die Befreier aus der SS-Haft nicht. So fehlt auch der Name Wichards von Alvensleben auf dieser Tafel.
Eine wildromantische Fahrt über Toblach und durch das Höhlensteintal führte anschließend hinauf bis zum Misurinasee mit Blick zur Südseite der Drei Zinnen, zum Sorapis und zum Antelao. Nach der dortigen Spaziergelegenheit folgte die Fahrt über den Tre-Croci-Pass nach Cortina d‘Ampezzo und auf den Falzaregopass, wo die Mittagspause zum Vespern und zum Besichtigen des prächtigen Bergpanoramas am Fuß des Kleinen Lagazuois genutzt wurde.Und wer auch den Sinn für das Kleine hatte, wurde wie schon am Pragser Wildsee und am Misurinasee mit der Blütenpracht des Bergfrühlings belohnt.
Die Weiterfahrt über den Valparola-Sattel ins Gadertal brachte eine atemberaubende Sicht in die Felswände der Cunturinesspitze, der La Varella, des Heiligkreuzkofels sowie Ausblicke zu den Berggestalten Peitlerkofels als des nördlichen Pfeilers der Dolomiten, des wie ein Zahn aus seiner Umgebung herausragenden Sass Songher und zum Sellastock.
Schließlich war St. Martin in Thurn erreicht, wo in der alten turmbewehrten Burganlage das eindrucksvolle Ladinische Museum untergebracht ist. Den Abschluss des Programms an diesem Tag bildete der Besuch des Römermuseums in St. Lorenzen, einer alten bei Bruneck gelegenen städtischen Siedlung mit vorrömischen und römischen Wurzeln.
Die Südtiroler Landeshauptstadt Bozen hat mit dem alten Bauern- und Winzerdorf Gries einen sehr tirolerisch/deutsch geprägten Vorort mit einer Pfarrkirche, in der Michael Pacher einen prachtvollen Flügelaltar errichtet hat, der in der Barockzeit einem Hochaltar weichen musste, aber als Altar in einer Seitenkapelle glücklich restauriert worden und heute der schönste Schatz dieser Kirche ist.
Vom alten Bauern- und Winzerdorf Gries ist es „nur“ ein Fußmarsch zur Bozener Altstadt. Aber er ist durch die italienische Baupolitik total verfremdet und führt über den „Siegesplatz“ und am „Siegesdenkmal“ vorbei – Demonstrationen neofaschistischer Gesinnung vieler nach Bozen eingewanderter Italiener. Woher vor über 5000 Jahren die Gletschermumie „Ötzi“ eingewandert ist lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Aber durch seinen Fund in den Ötztaler Alpen hat dieser Zeuge aus der beginnenden Kupferzeit sensationelle Entdeckungen möglich gemacht. Und natürlich durfte auch eine Besuchergruppe des Arbeitskreises Stadtgeschichte Metzingen dieser berühmten Mumie ihre Reverenz erweisen!
Nach Bozen gab es bei herrlichem Wetter mit dem Weinort Tramin und den berühmten Fresken in der Bergkapelle St. Jakob in Kastelaz einen weiteren Höhepunkt, dem sich eine Kellereibesichtigung der modernsten Genossenschaftskellerei Südtirols mit Weinprobe anschloss. Die Rückfahrt ins Pustertal war durch die weitläufigen Rebenhänge im Überetsch und im Eisacktal bei abendlichem Sonnenschein ein Erlebnis ohnegleichen.
In Südtirol gibt es nicht nur Obst und Reben, sondern auch viel Heugras, und so konnte man nach der Besichtigung einer Kellerei am Tag darauf auch eine Käserei vorgestellt werden. Die vom AKS angesteuerte Käserei in Toblach trägt den Namen der berühmten Drei Zinnen und ist ein wichtiger milchwirtschaftlicher Betrieb für einige hundert Bauern, die samt und sonders – schon wegen der auch in Südtirol gebräuchlichen Realteilung – nur kleine Betriebsgrößen mit höchstens fünfzehn Milchkühen haben. Dieses totale Gegenteil der großflächigen Milchwirtschaft ist der Inbegriff einer streng biologisch ausgerichteten Landwirtschaft, deren Produktionsmerkmal die Heumilch mit ihrer besonders guten Qualität ist. Voller Stolz konnte der Vertreter der Käserei bei seiner Führung die qualitativen Erfolge der vielfältigen Käseherstellung darstellen.
Nach dieser sehr eindrucksvollen Führung folgte ein absolutes Muss für jeden kunsthistorisch interessierten Besucher Südtirols: die Stiftskirche in Innichen und damit der bedeutsamste romanische Kirchenbau von ganz Tirol. Schon seit dem Baiernherzog Tassilo III., der in Innichen eine Klostergründung zur Slawenmission veranlasste, ist Innichen ein wichtiger Standort, der bald zum Hochstift Freising in Bayern gelangt, bei dem es bis zur Säkularisierung 1803 bleibt. Die heutige Stiftskirche entstand um das Jahr 1150 bis 1250 und hat nach barocken und anderen Verschandelungen seine ursprüngliche romanische Majestät durch eine grundlegende Restaurierung zwischen 1967/1969 wieder erhalten. Im Inneren überzeugt zunächst der Raum mit seinen wuchtigen Säulen und Pfeilern, die das Gratgewölbe tragen. Und dann zieht eine ehrfurchtsgebietende Kreuzigungsgruppe mit einem triumphierenden Christus die Besucher in ihren Bann; ebenso sind die Fresken in der Kuppel der Vierung mehr als nur einen Blick wert, und schließlich wurden außerhalb des Gebäudes auch das Süd- und das Turmportal durch einen sehr kunstsinnigen Führer vorbildlich erklärt.
Nach so viel Kunst darf das Essen nicht fehlen. So gab es zur Mittagspause eine kräftige Jause in der Käserei Drei Zinnen.
Was danach kam, gehört mit zum Beklemmendsten, was die praktische Militärgeschichte zu bieten hat. Die Teilnehmer an der Exkursion haben alle noch den Kalten Krieg zwischen 1948 und 1989 in Erinnerung. Was sie nicht wussten, war das von der NATO damals geschaffene Bunkersystem, das beispielsweise im Pustertal viele hundert wehrpflichtige Soldaten gegen einen russischen Einmarsch von Osten geopfert hätte. Der Gang durch einen jetzt als Museum dienenden Bunker machte das Unfassbare sichtbar.
Da war es nur gut, dass mittelalterliche Verteidigungsanlagen schon viel weiter vom Heute entfernt sind. Der schweißtreibende Anstieg von Sand in Taufers hinauf zu Schloss Taufers hat sich mehr als gelohnt. Die bestens erhaltene Burganlage bietet in zahlreichen Räumen und Gemächern ein eindrucksvolles Bild von Wohnverhältnissen in einer alten Burganlage, die vor allem auch jahrhundertelang ein wichtiger Gerichtssitz gewesen war und natürlich auch Folterkammer und Burgverließe beherbergt hatte. Der Blick nordwärts zum Zillertaler Hauptkamm, unter anderem zum Schwarzenstein, vervollständigte den erlebnisreichen Besuch von Burg und Schloss Taufers.
Die Fahrt am letzten Tag zurück ins Ermstal wurde gleich vormittags durch einen Besuch Sterzings unterbrochen. Die durch Bergbau im Ridnauntal und durch den Nord-Südverkehr reich gewordene Fugger-Stadt bildet mit ihrer zentralen Straßenführung durch Alt- und Neustadt (letztere aus dem 16. Jahrhundert und durch den markanten Zwölferturm von der noch älteren „Altstadt“ getrennt), dem gotischen Rathaus und zahlreichen Erkern an den Bürgerhäusern das Musterexemplar einer vom Mittelalter geprägten wohlhabenden Stadt, die alle kriegerischen Einflüsse unbeschadet überstanden hat. Dazu kommen noch in der alten Spitalkirche zahlreiche Fresken, deren Besichtigung leider durch schlechte Lichtverhältnisse sehr leidet. Die Bedeutung Sterzings seit dem Mittelalter wird auch durch eine hier errichtete und jahrhundertelang betriebene Deutschordenskommende dokumentiert, also einen wichtigen Sitz des Deutschen Ritterordens.
Wenn man aus Sterzing ein Stück auf der alten Brennerstraße fährt, konnte man heute fein heraus sein, wie die landschaftlich besonders schöne und problemlose Fahrt zeigte. Der weitere Verlauf der Reise auf der Brennerautobahn litt dafür auch samstags noch unter einem ununterbrochenen Lastzugverkehr.
Aber immerhin erreichte die Reisegruppe rechtzeitig den vereinbarten Führungstermin in der Innsbrucker Hofkirche mit dem berühmten Grabmal des im Jahr 1519 (also jetzt vor 500 Jahren) gestorbenen, aber nicht hier beerdigten Kaisers Maximilian I. (des letzten Ritters), der sich dieses Grabmal – allerdings nicht für Innsbruck – ausdrücklich erbeten hatte. Der Enkel Maximilians, König Ferdinand I., ließ als Aufstellungsort die Hofkirche in prächtigem Renaissancestil in den Jahren 1563 bis 1573 erbauen. Erzherzog Ferdinand II. ließ das Prunkgrabmal und dazu auch die aus Bronze gegossenen 28 tonnenschweren Statuen von im Volksmund „Schwarzmander“ genannten Familienangehörigen errichten.
Außer dem Grabmal für den Kaiser hat die Hofkirche auch noch ein Grabdenkmal für einen der bekanntesten Untertanen der Habsburger erhalten: An Andreas Hofer aus Südtirol, den in Mantua hingerichteten Freiheitskämpfer gegen Napoleon, wird hier dankbar erinnert.
So viel Pracht in einer Kirche ist für die württembergischen Schwaben nicht unbedingt das Merkmal eines Gotteshauses. Der museale Charakter überwiegt eindeutig, was sich auch an den Besucherströmen zeigte.
Bei der Fahrt aus Innsbruck hinaus offenbarte sich auch bei noch schönem Wetter die herrliche landschaftliche Lage der Tiroler Landeshauptstadt zwischen Nordkette und Berg Isel. Die weitere Fahrt verlangte einige Geduld von Fahrer und Reiseteilnehmern, aber schließlich war ohne weitere Schwierigkeiten das heimatliche Rückreiseziel erreicht.
Eine unglaublich reichhaltige Exkursion hatte so ihr Ende gefunden, nicht ohne eine überaus dankbare und detaillierte Laudatio Wilhelm Mändles und eine Dankesrede Dr. Fritz Kemmlers, der auch gleich für die nächstjährige Exkursion mit Norddeutschland etwas weniger Gebirgiges ankündigte.
Ein Album kommt noch!