Hintergrundinformation zum Vortrag Eberhard Zacher am 12. September in der Stadtbibliothek
Schon im frühen Mittelalter gab es jüdische Siedlungen auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg.
Das älteste Zeugnis vom 11. Jahrhundert stammt aus Heilbronn.
Im 12. und 13. Jh. bestanden Ansiedlungen vor allem in freien Reichsstädten wie Schwäbisch Hall, Esslingen, Schwäbisch Gmünd, Ulm, aber auch in landesherrlichen Städten.
Der wirtschaftliche Erfolg der Juden, denen handwerkliche und bäuerliche Berufe verboten waren und die sich deshalb vorwiegend im Geldgeschäft betätigten, aber auch ihre Religion machten sie im Mittelalter immer wieder zu Opfern gesellschaftlicher Diffamierungen und Verfolgungen: Von dem historischen Vorwurf, schuld am Tode Christi zu sein, einmal abgesehen, beschuldigte man sie des rituellen Mordes an Christenkindern, der Schändung geweihter Hostien, der Brunnenvergiftung und vieler anderer Verbrechen. Besonders im 14. Jh., während der Pestepidemie 1348/49, kam es zu grausamen Verfolgungen, die viele Judensiedlungen auslöschten.
1236 hatte Kaiser Friedrich II. die Juden unter den Schutz des Reiches gestellt – ein Schutz, der bald von vielen Adligen ausgeübt wurde und für die man die Juden kräftig zahlen ließ. Seit dem Erlass der Goldenen Bulle von 1356 durften die Kurfürsten, später viele andere Fürsten und ab 1548 auch die Reichsritter das finanziell einträgliche Recht des Judenschutzes ausüben. Trotzdem gab es im 16. Jh. in Württemberg keine freie Reichsstadt mehr, die Juden in ihren Mauern duldete.
In der napoleonischen Zeit konnte Württemberg seine Einwohnerzahl und seinen Gebietsumfang fast verdoppeln; es wurde Königreich. In den neuen Landesteilen lebten viele Juden, meist in armseligen Verhältnissen. Um 1800 gab es im Herzogtum Württemberg 534 Juden, 1817 im Königreich Württemberg 8256. Der erste württembergische König, Friedrich, war den Juden günstig gesonnen. Er erlaubte ihnen den Gütererwerb (1807), hob den Leibzoll auf und ermöglichte ihnen den Zugang zu handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufen.
Dennoch blieb Vieles im Argen, da es für die jüdischen Kinder weder Schulen noch Schulpflicht gab. Das württembergische Judentum lebte vor allem auf dem Land. Die christliche Bevölkerung hielt das Elend der Juden für selbstverschuldet. 1828 wurden sie durch Gesetz württembergische Untertanen. Es entstanden 13 Rabbinate unter einer Israelischen Oberkirchenbehörde in Stuttgart. Weitere Gesetze 1848/49 und 1864 gewährten schließlich die völlige Gleichstellung der Juden.
Im 19. Jh. gab es eine Reihe bedeutender jüdischer Persönlichkeiten in Württemberg (und Baden): Schriftsteller, Künstler, Architekten, Juristen und Ärzte. Die Juden hatten als Industrielle wesentlichen Anteil am technischen Aufschwung in Württemberg. Der aus Laupheim stammende Bankier und Kommerzienrat Kilian von Steiner (1833 – 1903) sei als Beispiel genannt. Berühmtheit erlangte auch der Dichter Berthold Auerbach (1812- 1882) mit seinen „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ und natürlich Albert Einstein (Vorfahren aus Laupheim und Bad Buchau), der als Physiker das moderne Weltbild entscheidend geprägt hat.
Im ersten Weltkrieg stellten die 10 824 württembergischen und die über 25 000 badischen Juden viele Freiwillige. Die Juden fühlten sich als Deutsche.
Zu Beginn des Jahres 1933 lebten auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg etwa 31 000 jüdische Mitbürger. Ihre Zahl hatte sich in hundert Jahren kaum vermehrt, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung sogar vermindert. Schon vor 1850 hatte eine starke Auswanderungswelle nach Amerika eingesetzt.
Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ war für die überalterten israelitischen Landgemeinden und für die städtischen Gemeinden eine Katastrophe. Zwar stieß die NS-Rassenideologie mit ihrem Antisemitismus in der Bevölkerung zunächst auf Unverständnis, doch die massive Propaganda des Regimes konnte die Juden in ein zunächst noch unsichtbares Ghetto abdrängen. Die vom Regime organisierte Reichspogromnacht am 9. November 1938 verschonte kaum eine Judengemeinde. Doch das Demolieren und Niederbrennen der Synagogen (auch in Laupheim und Buttenhausen) und die Verwüstung jüdischer Geschäfte geschah fast ausschließlich durch Angehörige von NS-Organisationen (SA und SS). Im ganzen Reich wurden 26 000 männliche Juden verhaftet, die Juden mussten obendrein 1 Milliarde RM als so genannte Sühneleistung bezahlen. Viele flohen ins Ausland, die, die nicht emigrieren konnten (die USA z. B. verlangte Bürgschaften) oder wollten, wurden im Verlauf des Zweiten Weltkrieges gnadenlos ermordet (Holocaust/Shoah). Etwa zwei Drittel der jüdischen Bevölkerung rettete sich durch Emigration. Im Land selbst überlebten nur knapp 2%!
1945 waren die Judengemeinden in Württemberg (und Baden) restlos vernichtet. Nach dem Krieg bildeten sich lediglich in sechs größeren Städten in Baden-Württemberg (Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg und Baden-Baden) wieder kleine jüdische Gemeinden.
1991 gab es in Baden-Württemberg knapp 2000 Mitglieder der Israelitischen Religionsgemeinschaft. Durch die Einwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ist die Zahl seither auf rund 7500 gewachsen, neue (Filial)-Gemeinden wurden gegründet (u. a. in Reutlingen). In Württemberg sind alle diese Gründungen Filialgemeinden der Stuttgarter Gemeinde.
Nach: Paul Sauer: Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966.